"Sie feiert wo Silvester?!?", quieke ich etwas zu laut in mein Handy, während ich mir das mittlerweile, gefühlte tausendste Glitzerkleid anhalte, um es mit einem genervten Kopfschütteln direkt wieder zurück zu hängen. Zwei andere Kundinnen schauen mich irritiert an und ich stöckele so schnell es geht aus der Boutique, um weitere Peinlichkeiten zu vermeiden. "Auf dem Kilimandscharo", lacht meine Freundin am anderen Ende ins Telefon, "Sie feiert auf dem Kilimandscharo Silvester!" Etwas leiser, aber immer noch genauso irritiert, harke ich nach:"Aber wieso?? Wieso feiert man Silvester auf einem Berg??" und in Gedanken an mein imaginäres Glitzerkleid-Outfit ergänze ich: "Da ist es doch bestimmt arschkalt!". "Ja, das hab ich mir auch gedacht", prustet meine Freundin wieder, "aber du kennst doch ihren Freund. Das ist so ein verkappter Robinson- Crusoe-Verschnitt!". Und damit hat sie tatsächlich Recht. Seitdem unsere, gemeinsame Freundin mit diesem Rambo für Arme zusammen ist, sind die zwei ständig irgendwo in der Weltgeschichte unterwegs und das nicht in irgendwelchen, luxuriösen Spas, sondern mit dem Rucksack, auf einem Floß oder mit dem Mountain-Bike. Für mich kommt kein Urlaub in Frage, bei dem mein Glätteisen keine Steckdose hat und ich Gefahr laufe, mein Essen von einem Affen serviert zu bekommen. Und der echte Rambo wusste auch, warum er lieber alleine im Dschungel Doch wer bin ich, mir da ein Urteil zu bilden. Es kann schließlich jeder machen, was er will. Nur von Wollen kann auch bei unserer Freundin keine Rede sein! Sie kann mit diesen Pseudo-Abenteuern für Besserverdiener auch überhaupt nichts anfangen, hat eine Phobie vor Insekten, Höhe und Dreck, sah sich immer mehr als eine Park-Avenue-Mum und weniger als Pocahontas. Weniger Dschungel am Amazonas, mehr Villa im Taunus. Doch aus Liebe oder aus purer Verzweiflung macht sie sein Programm mit, feiert jetzt , ungeachtet ihres Dauerschnupfens und ihrer Abneigung gegen Schnee und Kälte, sogar Silvester im Eis.Ihr eigenes Lebensmodell hat sie dabei auf Eis gelegt. Und so komme ich, während ich den nächsten Laden auf der Suche nach dem perfekten Silvesteroutfit (schwarz, kurz, glitzernd, aber langärmlig!) ansteuere, nicht umhin mich zu fragen, wie groß die Kompromisse sein sollten, die man in Beziehungen macht. Frierend auf einem Berg stehen oder schwitzend durch einen Dschungel latschen? Das käme für mich nicht in Frage, aber auch ich mache meine Kompromisse. Auf der Suche nach Sicherheit, hatte ich schon einen Mann, der mir ständig das Gefühl gab, nichts sei sicher und meine Verlustangst fast täglich fütterte. Mit dem Wunsch nach einer Trashhochzeit in Las Vegas, datete ich einen Hochzeitsphobiker mit Flugangst. Doch auch wenn diese Beziehungen in die Brüche gegangen sind, wäre ich letztlich auch wieder bereit, auf gewisse Dinge in einer Beziehung zu verzichten, wenn ich das Gefühl habe, das Große und Ganze funktioniert und ich darf letztlich ich selbst bleiben. Wahrscheinlich geht es unserer Freundin ähnlich. Vielleicht spürt sie in dem Moment nicht die Kälte, weil Rambo sie im Arm hat und sie merkt nicht die Höhe, weil der Anblick der lila Wolken zusammen einfach nur schön ist. Tatsache ist, dass es eine Beziehung, die sämtliche Punkte einer Checkliste erfüllt, nicht gibt. Doch wir wissen ja, dass das Leben passiert, während man Pläne schmiedet und gerade diese Tatsache unterscheidet das Leben vom Tod. Zufrieden schaue ich mittlerweile in den Spiegel: Silvesteroutfit steht! Es ist ein Glitzerkleid. Allerdings nicht in schwarz.