Letztens, als ich nichtsahnend an meinem zuckerfreien Café Latte nippte und die neuste Ausgabe der Vogue inhalieren wollte, wurde ich unweigerlich Zeuge einer heftigen Diskussion des am Nachbartisch sitzenden Paares. Ihm rann vor Stress schon der Schweiß auf der Stirn und sie gestikulierte so heftig, dass ich schützend meine Tasse festhielt. Während ich noch versuchte, den Artikel über einen italienischen Kunstsammler und Frauenversteher fertig zu lesen und überlegte, ob eine schwarze Lederröhre immer noch eine gute Investition war, flogen am anderen Tisch die Fetzen. Der ein oder andere verirrte sich in meinem Gehörgang und ich verstand Wortfragmente wie "Immer machst du", "Nie sagst du" und "Jedes Mal, wenn" und bald schon war das Ganze ein einziger Mischmasch an Pauschalisierungen, Kategorisierungen und Generalisierungen. Die beiden hatten wahrscheinlich schon längst vergessen, um was es eigentlich ging.
Konflikte gibt es immer in Partnerschaften und anderen zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese sind wichtig und können dazu führen, dass sich Dinge zum Positiven entwickeln. Sie verleihen der Verbindung zweier Menschen eine gewisse Dynamik und auch, wenn ich mich selbst nicht als streitsüchtig empfinden würde, käme es mir seltsam vor, niemals mit dem Partner, der Familie oder den engsten Freunden zu streiten. Ja, selbst am Arbeitsplatz gibt es Spannungen und Reibungen und gerade dort erscheint es nur logisch, dass man versucht, den Konflikt nicht größer werden zu lassen, sondern ihn möglichst schnell und zufriedenstellend für alle Parteien zu lösen. Unter Kollegen ist dies meist aufgrund der im beruflichen Umfeld geschaffenen Distanz leichter, als wenn man einen Disput mit dem eigenen Partner oder dem nahen, privaten Umfeld ausfechten muss. Hier passiert es nur allzu oft, dass man von einem "formellen" Problem in die tiefere, persönliche Ebene abrutscht und man sich am Ende im Wunsch, den Gegenüber einfach zu verletzen, wieder findet. Die berühmte Fliege wird zum berüchtigten Elefanten und der trampelt dann alles kurz und klein. Genau dies schien an meinem Nachbartisch passiert zu sein und die beiden Grauhäuter lieferten sich mittlerweile ein Rüsselwettringen in Form vom gegenseitigen Runterrattern der generellen Fehler des anderen. Sie spielten das allseits beliebte "Schlechte -Eigenschaften-und-Fehler-Quartett": Ich habe eine "Nie gibt´s du mir recht!" - Das tausche ich doch gerne gegen "Na und? Du machst eh immer nur was du willst". Wie also verhindert man, dass ein Konflikt Übergröße bekommt und letztlich als Elefant im Porzellanladen mit seiner Masse zalles erstört? Man darf ihn nicht füttern! Konflikte reagieren auf Worte wie der Körper jedes Lebewesens auf die Nahrung, die ihm zugeführt wird. Worte wie "Immer", "Nie", "Jedes Mal", "Andauernd" und ähnliche Pauschalisierungen führen bei jeder Auseinandersetzung dazu, dass sie größer wird und ausufert. Beginnt man in einem Streit über etwas Konkretes damit, unkonkret zu werden, verrutscht der gesamte Konflikt und weicht damit von seiner Lösung ab. Denn was will man, einmal damit angefangen, auf solche Vorwürfe entgegnen? Man wehrt sich automatisch mit einem ebenso unkonkreten und pauschalisierten Gegenvorwurf und sofort ist der gesamte Blickwinkel ein falscher. Sie: "Du hörst mir eh nie zu". Er: "Weil du immer so viel redest". Sie: "Tue ich gar nicht.
Du erzählst mir halt nie was".
Bumm. Alles liegt in Scherben, obwohl der Grund für die Auseinandersetzung ein ganz harmloser Grund wie der vergessene Besuch bei der Reinigung von ihm war, um ihr Kleid abzuholen. Eine ehemalige Freundin von mir trieb solche Kleinigkeiten mit Bravur auf die Spitze. Beispiel? Als ich auf das zweite, großzügig belegte Sandwich, serviert durch die Hände ihres Onkels, verzichtete, endetet dieser Mittag mit ihren Worten: "Du bist halt typisch Deutsch. Die Deutschen haben keinen Sinn für Familie".
Wumm. Was konnte ich da noch sagen?
Wer an einer Konfliktlösung und nicht nur am Konflikt interessiert ist, tut ein Gutes, sämtliche Pauschalisierungen, Generalisierungen, Vorurteile und ähnliche, schwer verdauliche Wörter und Sätze zu vermeiden. Das ist nicht immer leicht, da man, gerade in einer Partnerschaft mit sehr viel Emotionen geladen ist, aber ein Versuch ist es immer wert. Und wenn man sich selbst mit solchen Vorwürfen konfrontiert sieht, sollte man immer versuchen, dies sofort durch konkretes Nachfragen auszubremsen: "Wann habe ich dir das letzte Mal nicht zugehört?". "Bei was hast du das Gefühl, ich erzähle es dir nicht?". Natürlich gibt es generelle Punkte in einer Beziehung wie die Einstellung zu Monogamie, die finanzielle Situation oder auch der Umgang mit Expartnern über die man mal sprechen oder auch diskutieren muss, aber als Einleitung zu solchen Themen sollte nicht das vergessene Klopapier oder die Frage, wer letztes Jahr Germanys Next Top Model geworden ist, herhalten.
Das streitlustige Paar verließ, immer noch tobend, irgendwann das Café und ich widmete mich wieder der konfliktfreien Vogue. Wenigstens alle Tassen waren ganz geblieben.