„Low Carb“, „No Carb“, „Glutenfrei“, „Laktosefrei“ – die Liste der Möglichkeiten, mit denen man heutzutage Nahrungsmittel und Ernährungsformen beglaubigen und beschimpfen kann, erscheint schier ewig. Was in den Siebzigern und Achtzigern mit einfachen Worten wie „Fettfrei“, „Fettreduziert“ oder „Vegetarisch“ als gesunde Alternative zur von Oma und Mama gekochten Hausmannskost betitelt wurde, entwickelte sich rasant zu einer pulsierenden Wissenschaft und einer Boomenden Kultur. Das Verständnis für „Fett“ wurde gespalten in „gute“ und „böse“ Fett. Aus „kein Fleisch“ wurde „kein Lebewesen und keine tierischen Produkte“. Wer weiterhin nicht auf die Kuh oder das Huhn auf dem Teller verzichtetet, entschuldigte sich mit „Proteindiät“ und lud nach 18 Uhr keine Kohlenhydrate mehr zum Abendessen ein, die natürlich auch in „gut“ und „böse“ Kohlenhydrate aufgeteilt werden. Als diese Felder abgegrast waren, verdonnerte man schließlich „Laktose“ und „Weizen“ auf die Stille Treppe der „bösen“ Lebensmittel. Greift man heutzutage mal nach einem Schokoriegel oder bestellt den Nachmittagskaffee als Vollmilchvariante und ohne italienischen Vornamen, findet sich mindestens eine vom Ernährungswahn befallene Person in naher Umgebung, die einem erklärt, auf wie viele Art und Weisen dieser Genuss tödlich sein wird.
Die heutige Gesellschaft scheint penibel darauf bedacht zu sein, den eigenen Körper von belastenden, zusätzlichen Inhaltsstoffen fern zu halten. Der Trend bei den Ernährungsgurus geht hin zu immer weniger verarbeiteten und natürlichen Lebensmitteln. Es begann mit „Bio“ und hat sich über die Jahre immer weiter entwickelt. Bei der „Raw Diet“ verzichtet man auf die Zubereitung von Lebensmitteln mit Hitze und bei der „Paleo-Diät“ sind wir –zumindest-ernährungstechnisch – wieder in der Steinzeit angekommen. „Möglichst ohne“ und „möglichst pur“: „Clean Eating“ gibt einem das Gefühl, es sei für den Körper das Beste und logisch erscheint es allemal, da sich rote Gummibärchen, gezuckerter Mais und kreideweißes Toastbrot irgendwie immer schon falsch anfühlten.
Doch das was uns bei der Ernährung so wichtig erscheint, scheinen wir gerade bei den zwischenmenschlichen Beziehungen zu vergessen. Heutzutage werden Beziehungen über ihren Status in Facebook bewertet. Die Größe der Zuneigung des anderen wird an der Anzahl der gemeinsamen, online gestellten Fotos oder am Anzeigebild bei Whats App gemessen. Ob man der Freundin wichtig ist oder der Freund gerade Wichtigeres zu tun hat, verraten uns ominöse, colorierte Doppelharken nach dem Versenden einer Nachricht. Man spricht nicht mehr miteinander, sondern „Whatsapped“ übereinander. Was früher noch ein peinlicher Zufall war, fielen einem doch beim Staubwischen mal Fotos von der Exfreundin in die Hände, ist heute mit ein, zwei Mausklicks durch die sozialen Netzwerke bittere Routine. Man findet den einen oder anderen Expartner, Größe, Alter, Gewicht, Kontostand und bei manchen sogar noch übrig gebliebene, gemeinsame Urlaubsfotos, gemeinsame Postings oder stellt fest, dass der Partner sogar noch mit dem Verflossenen oder der Vorgängerin „befreundet“ ist. Auch hier hat sich mittlerweile schon eine Fleißig arbeitende Wissenschaft entwickelt und Facebook- Stalking, Messaging- Analyse und Whats-App- Sendeberichtsinterpretationen sind weit verbreitete, gesellschaftlich anerkannte Teilzeitbeschäftigungen. Es werden Studien veröffentlicht, wieviel Prozent der Ehen aufgrund von durch digitale Medien verursachte Konflikte geschieden werden und die Zahl der Beziehungen, die an „Online“, „Gesehen“ und „offline“ scheitern, steigt in erschreckendem Maße an. Wann beginnen wir also das „Clean Loving“? Sollten wir, während wir einen Low-Fat-Soja -Latte -Macchiatto ohne Zucker genießen, nicht mal darüber nachdenken, von welchen künstlichen Inhaltstoffen wir unsere Beziehungen befreien können? Viele Konflikte, die heute in einer Beziehung entstehen, sind durchaus vermeidbar, wenn man sich wieder auf das Wesentliche konzentriert, das menschliche Beziehungen ausmacht. Vertrauen, Wertschätzung, Liebe: aus solchen Inhaltsstoffen entstehen und wachsen Beziehungen. Soll ein dazu gemischter, industriell hergestellter „Gelesen“-Harken auf Whats App wirklich etwas Gesundes wie Vertrauen verderben? Ist ein alter Post auf Facebook wirklich dazu in der Lage, etwas Ursprüngliches wie Liebe, gesundheitsschädigend zu machen?
Natürlich ist es nicht möglich und auch nicht wünschenswert, ja vielleicht sogar schädlich, sich gänzlich von all der digitalen Dauerreizüberflutung zu befreien, denn wie wir auch in unserem Ernährungswahn noch wahrnehmen, ist und bleibt Fett ein Geschmacksträger und somit nicht gänzlich vermeidbar. Aber genau wie uns bei der Wahl der Fettes immer noch „gut“ und „böse“ bleibt, sollten wir auch bei der Verwendung von digitalen Medien darauf achten, das „Gute“ wie die „Schlaf schön. Hab dich lieb“- Whatsappnachricht vor dem Schlafen gehen, zu sehen und das „Ich liebe dich“- Posting zum Valentinstag.